Mercedes-Benz ML 320 CDI 2009: Die S(UV)-Klasse für den Hänger

Die M‑Klasse von Mercedes-Benz hatte in den späten 90ern keinen guten Start. Sie wirkte klobig und steckte voller Fehler im Detail, verkaufte sich allerdings recht gut. Der ML läutete bei der Marke mit dem Stern das SUV-Zeitalter ein, heute sind rund ein Drittel aller in Deutschland neu zugelassenen Fahrzeuge Sport Utility Vehicles. Die zweite Generation des Kraftklotzes macht vieles besser als der Vorgänger. Und zieht richtig was weg.
- Bauzeitraum: 2005 – 2011
- Karosserien: SUV
- Benzinmotoren: 3,5 Liter – 6,2 Liter (3,5 Liter auch als Hybrid)
- Dieselmotoren: 3,5 Liter – 4,0 Liter
- Tankinhalt: 95 Liter
- Produktion: Tuscaloosa, Alabama
- Preise 2021: 3.000 € – 20.000 €
Qualitäts-Rodeo made in Alabama
Wenn das Kind erstmal in den Brunnen gefallen ist … Bei dem 1997 auf der NAIAS als Baureihe 163 vorgestellten Baby schien in dem Brunnen vorwiegend Salzwasser gewesen zu sein. Im neuen Werk in Tuscaloosa, Alabama schraubte man so etwas wie eine S‑Klasse auf einen massiven Leiterrahmen, packte eine Menge Luxus und einen Allradantrieb rein und vergaß dabei in der warmen Sonne ein paar Qualitätsstandards des deutschen Mutterkonzerns. Schade. Hört man heute „M‑Klasse“ (offiziell „ML-Klasse“, das M gehört einem anderen Hersteller), denkt man vor allem an schlimmes Aussehen, dramatischen Rost an völlig unkonventionellen Stellen und Elektrikprobleme direkt aus der Hölle. Die Erfahrungsbeichten lesen sich nach über 20 Jahren wie Kriminalromane. Der Nachfolger ab 2005 sollte das alles besser machen.


Beim Zweitgeborenen wurde alles besser
Bei der Baureihe 164 lag die Messlatte nun seitens der Presse und der enttäuschten Kundschaft wesentlich höher. Der antike Leiterrahmen wich (endlich) einer selbsttragenden Karosserie, die Verarbeitungsqualität kam fast an andere Modelle aus Stuttgart ran und es wurde während der Arbeitszeit wesentlich weniger Tequila getrunken. Der 15 cm längere und 7 cm breitere Auftritt des hochbeinigen Allradlers wirkte stimmiger als beim Vorgänger, der wie ein überraschter Pottwal auf der Straße lag.

Ist man erstmal die wenigen Stufen zur Fahrgastzelle hochgeklettert, fühlt es sich an wie in einem S‑Klasse-Loft. Irgendwo über den Dächern der Stadt. Hochwertiges Leder, metallene Applikationen und viele entertainende Spielereien machen schnell klar, dass hier nicht der hart arbeitende Förster zu Hause ist.
Käffchen und Kippchen
Viele Gebrauchtwagen haben gar keine Cupholder und nur winzig kleine Aschenbecher. Deshalb checke ich (als Nichtraucher) in dieser Serie auch immer die Abstellmöglichkeiten für Coladosen und Kaffeetassen sowie die vom Fahrersitz aus erreichbaren Aschekapazitäten.

Im ML der zweiten Generation gibt es endlich mal Getränkemulden auf der Mittelkonsole, und lasteraffine Pferdeeltern aschen entspannt ab, während die kleine Xenia ihre Reitstunden bekommt. Dabei bleibt man auch nicht am Wahlhebel der Automatik hängen – die Fahrstufen werden am Lenkrad eingelegt. Vorbildlich.
Die zweite ML Generation hat eine Menge Platz für fünf kleine und große Menschen und deren Gepäck. Der Beau aus Alabama teilt sich die Bodengruppe mit der R‑Klasse und dem GL und lässt auch auf langen Strecken keine Platzangst aufkommen. Die tief unten liegende Außenwelt bleibt auch bei höheren Geschwindigkeiten draußen und macht den ML zum Langstreckengleiter.

Drehmoment ist keine Hexerei
Was bei einem einigermaßen neuen Fahrzeug unter der Motorhaube werkelt, kann man in Oberklassedimensionen weder sehen noch wirklich hören. Aber spüren lässt es sich, wenn bei unserem Modell die über 500 Newtonmeter an den vier angetriebenen Rädern drehen. Der Voll-Alu-Common-Rail-Diesel mit Piezoinjektoren drückt kraftvoll und schier unaufhaltsam über die 7G-Automatik nach vorn und gibt mir das Gefühl, am heutigen Tag von niemandem aufgehalten zu werden.

Kein Wunder, dass ein ML vorwiegend und gern als Zugfahrzeug genutzt wurde. Auch wenn da hinten mehr als zwei Tonnen dran hängen, spürt man vorn kaum einen Unterschied. Und der Bumms der Dieseltriebwerke erklärt auch, warum in Deutschland nur verhältnismäßig wenige Benziner ausgeliefert wurden. Mit dem Diesel vergleichbare Werte bringen nur die V8 und die sind sogar schon auf dem Papier wesentlich versoffener. Und Oberklassekunden sind geizig.
Pferdemädchen oder Förstertochter?
Auch wenn die meisten SUV heute nicht gerade wie geschmackvolle Kunstwerke aussehen, es gibt durchaus Anwendungsbereiche. Für echte Landwirte oder Waldarbeiter kommt wohl heute immer noch eher die G‑Klasse in Frage, die ein echter Geländewagen ist. Der ML hat zwar auch permanenten Allradantrieb und Gimmicks wie eine Bergabfahrhilfe, das im Vorgänger serienmäßige echte Geländepaket muss man hier aber optional buchen. Differentialsperren, Reduktionsgetriebe und Unterfahrschutz brauchen Nelson und Tiffany auf den gut ausgebauten Straßen der westlichen Zivilisation in aller Regel nicht.

Dafür macht der SUV sich aber eben auch vor dem Opernhaus oder dem 5‑Sterne-Restaurant eine gute Figur. Und wenn nach einem gelungenen Abend nicht irgendein stiller Verbraucher die Batterie leergesogen oder ein fehlgeleitetes Strömchen in einem Sensor die Motorsteuerung lahmgelegt hat, kommt man auch ohne Abschleppwagen wieder komfortabel nach Hause.

Oberklasse ohne Wenn und mit Aber
Es sind diese Kleinigkeiten, die in einem mit Komfortelektronik überladenen Luxusgleiter im Alltag Sorgen machen. Die Qualität der Baureihe 164 ist gut, aber die schiere Menge an Bauteilen macht Fehler in der Elektrik im Alter wahrscheinlich. Die Technik ist ansonsten robust und wenn sie regelmäßig gewartet wurde, macht sie nicht mehr Probleme als bei anderen SUV auch. Es gibt begeisterte Mercedes-ML-Fahrer, die ihren Zugschlitten schon über 500.000 Kilometer sorgenfrei bewegen. Andere haben nach drei Motoren und fünf Havarien mit Elektrikproblemen die Schnauze voll.

Die Zuverlässigkeit eines Mercedes-Benz ML hängt an seiner Historie. Regelmäßig gewartete Alltags-SUV sind problemlos. Rest-TÜV Laster aus vierter Hand mit 300.000 Kilometern Anhängerbetrieb können einen in den Ruin treiben. Bei allen aber gilt: Es ist eine Oberklasse. Die Preise der Ersatzteile sind meistens Oberklasse, die Werkstattkosten sind Oberklasse. Das wird auch immer so bleiben in der Oberklasse. Einen ML fährt man einfach nicht für billig. Punkt.
Vorteile | Kraftvolle Motoren S‑Klasse Komfort und gute Verarbeitung Hohe Anhängerlast Gute Fahrassistenzsysteme Großzügiges Raumangebot Gute Ersatzteillage |
Nachteile | Defekte Generatoren bis 2008 Entladene Batterien wegen elektrischer Defekte Störungen im Motormanagement Defekte ABS Sensoren Ausfall der 7‑Gang-Automatik Ölverlust Gebrochene Federn Defekte Stoßdämpfer |
Fahrgefühl | Auch jenseits von 200.000 Kilometern fährt sich eine gepflegte ML-Klasse sagenhaft komfortabel. Wenn man die erhabene Sitzposition mag werden Langstrecken zum Genuss. Bei hohen Drehzahlen knurren die Sechszylinder gern etwas grantig. Aber das ist nur Grundrauschen in einer ansonsten fast geräuschfreien Wohnlandschaft. |
Preise | 3.000 € – 20.000 € |
FAQ
Die Betonung liegt auf gepflegt. Hat die Baureihe 164 regelmäßig eine Werkstatt gesehen, ist die Historie belegbar und wurde nicht permanent ein Anhänger gezogen, macht der Wagen nicht mehr Probleme als andere vergleichbare Modelle. Solche Exemplare kosten aber auch noch eine ganze Stange Geld. Dafür bekommt man aber auch ein kommodes, kraftvolles Zugfahrzeug mit Langstreckenqualitäten. Wer bei den unteren Preisspannen ab 3.000 Euro neugierig zuckt, muss mit Wartungsstau in fünfter Hand rechnen. Und dann können Schäden kommen, die oberklassetypisch den Kaufpreis überschreiten.
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Markentypisch ist für einen Mercedes-Benz ML alles zu bekommen – aber nicht alles ist preiswert. Während Bremskomponenten oder Nebenaggregate in normalen Dimensionen rangieren, gibt es zum Beispiel die Abgasanlage nur original. Und das kostet richtig Geld. Elektrische Komponenten sind im Netz gebraucht zu bekommen, wer es ernst meint, kann sich auch ein paar Prüfgeräte kaufen. Es ist nie verkehrt, einem elektrischen Fehlerchen selbst auf die Spur zu kommen.
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Vergleicht man die M‑Klasse mit einem Alfa Bertone, dann ist sie eine wuchtige Wanderdüne. Aber so ein Vergleich hinkt. Mit Blick auf den Vorgänger ist der ML ein wunderschönes, nahezu ästhetisches Auto 😉 Er fährt sich dank der kraftvollen Motoren flott und agil und macht so lange Laune, bis man in der Innenstadt einen Parkplatz sucht. Auch neben seinen Kollegen von BMW und Audi macht der ML eine gute Figur und bietet tatsächlich so viel Platz, wie er optisch behauptet. Auch das können andere nicht unbedingt.
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Der OM 642 Common-Rail-Diesel ist in allen seinen Ausbaustufen ein relativ genügsamer, robuster Geselle. Er hat reichlich Kraft und Drehmoment für alle Lebenslagen, sein einziger Haken ist, dass er ein Diesel ist. Das kann man in ländlichen Gegenden ignorieren, in den Städten mit Umweltzonen und Fahrverboten kann das mehr und mehr Gewicht bekommen. Den kleinen Benziner gibt es als Sechszylinder und als Hybrid, das ist dann wohl Geschmackssache. Die V8 Triebwerke stehen in Kraft und Leistung den Dieseln kaum nach, sind aber entsprechend durstiger.
Während der Vorgänger (W 163) noch an völlig unkonventionellen Stellen durchrostete, hat die zweite Generation diese Macke abgelegt. Mercedes-Benz ist so überzeugt von seiner Rostvorsorge, dass sie ab Werk eine 30-jährige Garantie gegen Durchrostungen gegeben haben. Das kann sich sehen lassen. Die beruft sich natürlich auf regelmäßige Werkstattbesuche und deshalb sollte man schon in den Ecken und Falzen mal genauer schauen und ggf. etwas Wachs nachspritzen. Allgemein gilt aber: Es wird eher ein schmollendes Motorsteuergerät die Reise beenden als ein rausgerostetes Federbein.
Jens Tanz – der Sandmann

Jens spielt seit seinem 16. Lebensjahr mit alten und nicht ganz so alten Autos im Maßstab 1:1. Diese Leidenschaft machte er nach ein paar Irrwegen in die Physik und die Elektrotechnik zum Beruf und schrieb Artikel und Kolumnen für AutoBILD, AutoBILD Klassik, GRIP – Das Motormagazin, Spiegel Online, das Drivestylemagazin TRÄUME WAGEN und die AUTO Classic. Heute betreut der Kieler über die Agentur elbkind reply die Social-Media-Kanäle vom Mercedes-Benz Museum in Stuttgart und führt mit “Sandmanns Welt” das etwas andere Tagebuch eines patchworkenden Autofahrers.
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