Opel Astra 2.2 Cabriolet 90 Jahre Bertone: Wie auf Schienen, ohne Dach

Ein Opel Astra G definiert den automobilen Lifestyle wahrhaftig nicht neu. Aber mit dem von Bertone gebauten Cabriolet geht er heute einen preiswerten Schritt in eine bodenständige Offenheit – und sieht dabei auch noch echt gut aus! Elektrisch aufklappen und losfahren.
- Bauzeitraum: 1998 – 2005
- Karosserien: Limousine, Kombilimousine, Kombi, Coupé, Cabriolet, Van
- Benzinmotoren: 1,2 Liter – 2,2 Liter
- Dieselmotoren: 1,7 Liter – 2,2 Liter
- Tankinhalt: 52 Liter
- Stückzahl: ca. 3.900.000 weltweit
- Preise 2021: 400 € – 5.000 €
La Vida Loca aus Rüsselsheim
Geöffnete Zweitürer ohne Überrollbügel machen fast zwangsläufig eine gute Figur, egal aus welchem Stall sie kommen. Für den von 1998 bis 2005 gebauten Opel Astra G sind die Rüsselsheimer ins Land des Espressos und der schönen Schuhe gereist und haben sich von Bertone ein Cabriolet bauen lassen, das ab 2001 angeboten wurde. Der elegante Keil schmeichelt auch heute noch dem Auge und bringt die typischen Opelqualitäten und ‑schwachstellen mit.


Im Gegensatz zu seinen gutbürgerlichen Limousinen- und Caravanbrüdern verströmt er tatsächlich einen Hauch von la vida loca. Er atmet das Freiheitsgefühl, das Mami und Papi für einen Moment das Reihenhaus in Rübgrund oder Dicker Busch vergessen lassen.

Sportlichkeit und krasse Farben
Guckt euch diese Sitze und Türverkleidungen an! Schwarzes und rotes Leder! Opel warf den Kunden neben den klassischen Modellen ein paar Extra-Editionen und Ausstattungen für das Cabriolet auf den Markt. “Linea-Rossa” und “90-Jahre-Bertone” sowie die “Daytona” und “Silverstone” Ausstattungen verströmen viel Zeitgeist und eine dezente Sportlichkeit. Ein Astra Bertone Cabriolet fällt auf und macht viel mehr Spaß als die eher profanen Grundmodelle.
Käffchen und Kippchen
Viele Gebrauchtwagen haben gar keine Cupholder und nur winzig kleine Aschenbecher. Deshalb checke ich (als Nichtraucher!) in dieser Serie auch immer die Abstellmöglichkeiten für Coladosen und Kaffeetassen sowie die vom Fahrersitz aus erreichbaren Aschekapazitäten.

Der Ascher neben dem Zigarettenanzünder in der Mittelkonsole fasst gerade mal drei Kippen oder eine Zigarre. Das ist zu wenig 😉 Dafür gibt es aber im Handschuhfach zwei Getränkehalter, die ihren Inhalt in scharfen Kurven gezielt in den Beifahrerfußraum plumpsen lassen.
Es sitzt sich straff und angenehm auf den rot belederten Fauteuils. Alle Seitenscheiben versenken sich auf Kommando synchron, und auch das Verdeck schnurrt vollelektrisch nach hinten und faltet sich in einer Extramulde komplett bedeckelt zusammen. Da hinten möchte man als erwachsener Mensch nicht lange sitzen. Aber … es wäre erlaubt und theoretisch möglich.

An die (Steuer)Kette gelegt
Der 2,2‑Liter-16-Ventiler kommt mit dem Astra dank seiner 147 PS ganz gut zurecht. Das Triebwerk erfindet das Rad nicht neu und ist auch kein flüsterleiser Seidenschmeichler, aber grundsätzlich robust und leider auch etwas trinkfest. In Forumsdiskussionen vor 10 Jahren wurden noch die Steuerketten gelobt, weil man keinen lästigen Zahnriemenwechsel mehr machen musste.

In späteren Diskussionen zeigten sich gerade hier Mängel, diverse Vierzylinder starben einen frühen Tod wegen einer gerissenen Steuerkette. Inzwischen gibt es neue, verstärkte Kits. Und das AGR-(AbGasRückführung-)Ventil verdreckt gern, sodass der Motor bockig wirkt. Ausbauen, reinigen, einbauen, entspannt weiterfahren. Oder neu kaufen.
Da Turino alla Germania
Dass unser Cabriolet (genau wie das Coupé) in Italien gefertigt wurde, macht qualitativ zu den Limousinen und Caravans keinen Unterschied. Ein Opel Astra, wenn er gut gepflegt und gewartet wurde, liegt straff und satt auf der Straße. Das Cabriolet fährt noch immer “wie auf Schienen”, was die Werbetexter in den späten 80ern behaupteten. Während das quer eingebaute Triebwerk unter der kleinen Haube seinen Dienst einfach so tut, kann das geübte Ohr auf Quietschen oder Poltern aus dem Fahrwerk lauschen. Je nach Laufleistung sind hier Lager fällig, aber das sind sie bei anderen Autos auch. Und dass das Display auf der Mittelkonsole (MID) durch Pixelverlust zum Rätselheft wird, ist auch keine Seltenheit. Hier weiß sich die Community aber zu helfen, wer es nicht selbst repariert, findet in Fachbetrieben Hilfe für weniger als 100 €.

Wer wird Millionär?
Während beim Cabriolet rund um die Karosserie viele Spezialteile verbaut wurden (was auf den ersten Blick gar nicht erkennbar ist), steckt unter dem Kleid die gleiche Technik wie bei den geschlossenen Modellen. Und davon gab es rund um den Globus eine Menge. Neben den knapp 4 Millionen in Europa produzierten Fahrzeugen tauchte der Wagen in den ewig links fahrenden Ländern als Holden und Vauxhall auf. General Motors Egypt produzierte die Limousine bis 2009, in einigen südamerikanischen Ländern vertrieb GM ihn als Chevrolet Astra. Prost.
Wenn dermaßen viele Fahrzeuge produziert wurden, sind definitiv auch heute noch viele davon auf den Straßen der Welt unterwegs. Auch wenn die Ausrichtung des preiswerten Kompaktwagens nicht auf “Langzeitauto für die Ewigkeit” zielte – er ist technisch noch immer problemlos am Leben zu halten. Allein schon, weil die Rostvorsorge endlich funktioniert. Man schaue sich einmal die Radläufe von Kadett E oder Astra A an. Wenn man noch welche sieht.

Ein Auto fürs Volk
Bremsscheiben und ‑klötze kosten im Set kaum mehr als eine Pizza beim Italiener mit Rotwein für zwei Personen. Mittel- und Endschalldämpfer sind preiswerter als der Sprit von Hamburg nach Turin, und selbst ein Klimakompressor oder eine Hydraulikpumpe sind nicht so teuer, dass Kalle aus Bottrop bei einem Defekt überlegt, lieber gleich das ganze Auto abzuwracken. Vergleicht bei uns gern einmal die verschiedenen Qualitäten und Anbieter der gängigen Ersatzteile. Mit ein bisschen Geschick lässt sich beim Astra G alles selbst und preiswert reparieren. Und während Ihr das macht, drehe ich noch eine Runde mit offenem Dach auf diesen sündig roten Ledersitzen. Vielleicht nicht ganz bis nach Italien, aber doch ein bisschen länger als geplant. Mit so einem Cabriolet machen Umwege Spaß. Und bei allem Lifestyle bleibt am Monatsende noch genug Geld für ein paar neue Schuhe. Italienischer Stil. Poi beviamo un espresso.
Vorteile | Vollverzinkte Karosserie Gute Verarbeitungsqualität Sechs Bauformen für jeden Bedarf Entspannte Ersatzteillage Umfangreiche Ausstattungsvarianten |
Nachteile | Anfällige Steuerketten Spannrollen zerbröseln gern AGR verstopft Kupplungen verschleißen schnell Fahrwerksfedern korrodieren und brechen Schwache Heizleistung beim Diesel |
Preise | 1.000 € – 8.000 € |
Kleinigkeiten | Display im Cockpit schwächelt im Alter Fensterdichtungen sind oft Undichtungen Zündschlössen geben auf Scheinwerfer ziehen Wasser ein |
FAQ
Der Golf-Konkurrent in der Kompaktklasse ist ein treuer und robuster Freund im Alltag. Wer nicht gerade eine Rest-TÜV-Möhre von der letzten Reihe aus den Brennnesseln zieht, bekommt auch unter 1000€ mehr Auto als bei den meisten anderen Herstellern. Die „normalen“ Astras laufen komplett unter dem Radar und verrichten ihren Dienst klaglos und bieder. Nicht zuletzt haben sich Tuner auf Sondermodelle und die sportlichen Karosserievarianten eingeschossen – sie bieten eine solide Grundlage für Individualisierungen.
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Das Angebot für den rüsselsheimer Millionenseller ist vergleichbar mit dem des VW Golf. Alle relevanten Ersatzteile sind neu für kleines Geld zu bekommen, und ein Opel Astra G ist somit lange am Leben zu halten. Jede Motorisierung hat ihre kleinen Macken, die aber alle in den Foren dokumentiert sind. Wegen seiner vielen Karosserieformen gibt es auch viele Sonderteile, die sich aber dann gebraucht beschaffen lassen.
Ersatzteile für den Opel Astra G »
Diese Frage lässt sich so gut beantworten wie die Frage, ob ich ein Schnitzel, einen Backfisch oder lieber einen Salat essen soll. Was mag ich denn? Was brauche ich denn? Die Schräghecklimousine mit zwei oder vier Türen und großer Klappe ist das häufigste Modell. Für 3‑Box-Anbeter gibt es den Opel Astra G auch sehr seltene Stufenhecklimousine (ja die gibt es wirklich!), Familien oder Handwerker greifen zum geräumigen Caravan. Cabriolet und Coupé kommen sportlich daher und sind toll für den Trip ins Grüne ohne Kinder. Technisch sind alle Varianten vergleichbar, es geht also nur um Nutzen oder Geschmack. Sondermodelle sind preisstabiler, der OPC ist ab 1999 die druckvollste Variante.
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Die Standardmotoren für den Opel Astra G sind die 1,6 Liter Vierzylinder mit 8 oder 16 Ventilen (85 PS bzw. 101 PS). Sie glänzen nicht mit Rennwagenleistungen, sind aber robust und mit einem Verbrauch von rund 7 Litern auf 100 Kilometern recht sparsam. Die Zahnriemenintervalle müssen penibel eingehalten werden, komplette Kits mit Spann- und Umlenkrollen kosten aber weniger als eine gebrauchte Playstation IV. Wer seinen Caravan gern belädt, sollte vielleicht lieber den 1,8 Liter Vierzylinder mit 125 PS wählen, allein weil der mit einer größeren Bremsanlage ausgeliefert wurde. Mit dem 2,0 Liter (mit oder ohne Turbo) oder dem 2,2 Liter geht es schon recht flott voran. Die knorrigen Dieselmotoren sind alle langlebig und glänzen mit schönem Drehmoment und niedrigem Verbrauch.
Ganz klar: nein. Während der Vorgänger Astra F nach wenigen Jahren an den Schwellern, den Radläufen und dem Tankdeckel aussah wie ein Mürbeteigkuchen hat man beim G dazugelernt und ihn vollverzinkt. Wenn es doch bei frühen Modellen Radlaufrost gab, ist das auf Kulanz behoben worden. Insgesamt darf man nicht vergessen, dass es sich hier um einen rund 20 Jahre alten Gebrauchsgegenstand handelt, der über diese Zeit weniger geliebt wurde als etwa ein Bentley oder ein Ferrari und Salz und Sonne und Regen ausgesetzt wurde. Ein Blick von unten auf die Fahrwerkskomponenten und die Falznähte lohnt daher immer, auch wenn der Wagen nur im dreistelligen Preisbereich liegt.
Jens Tanz – der Sandmann

Jens spielt seit seinem 16. Lebensjahr mit alten und nicht ganz so alten Autos im Maßstab 1:1. Diese Leidenschaft machte er nach ein paar Irrwegen in die Physik und die Elektrotechnik zum Beruf und schrieb Artikel und Kolumnen für AutoBILD, AutoBILD Klassik, GRIP – Das Motormagazin, Spiegel Online, das Drivestylemagazin TRÄUME WAGEN und die AUTO Classic. Heute betreut der Kieler über die Agentur elbkind reply die Social-Media-Kanäle vom Mercedes-Benz Museum in Stuttgart und führt mit “Sandmanns Welt” das etwas andere Tagebuch eines patchworkenden Autofahrers.
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