Opel Astra F 1.6 GLS 1996: Rüsselsheim greift nach den Sternen

Aus dem Straßenbild ist der Nachfolger des Opel Kadett noch nicht ganz verschwunden, in der zweiten Reihe der Händler sogar noch recht häufig vertreten. Die treue Seele mit den vielen Karosserieformen gilt als unkompliziert, gutmütig und rostanfällig. Unser GLS ist nicht nur krass golden, sondern auch erstaunlich rüstig.
- Bauzeitraum: 1991 – 2000
- Karosserien: Kombilimousine, Limousine, Kombi, Cabriolet, Kastenwagen
- Benzinmotoren: 1,4 Liter – 2,0 Liter
- Dieselmotoren: 1,7
- Tankinhalt: 52 Liter
- Stückzahl: ca. 3.800.000 weltweit
- Preise 2021: 400 € – 4.500 €
Lieber Weltraum oder lieber Bier?
Kadett. Admiral. Senator. Was für klangvolle Namen die traditionsreiche Autoschmiede in Rüsselsheim ihren Produkten einst gab. In den 90ern war damit Schluss, alles musste neu. Die Kunstnamen endeten alle auf A und sollten ein neues Markenimage einläuten. Omega. Calibra. Vectra. Und eben Astra, das erinnerte an Weltraum und tolle Technik. Ich kann diese Aussage nicht ganz teilen, mich hat der Name seit dem ersten Hören an eine Biersorte erinnert. Aber nun gut. Weil der Kadett E der letzte Kadett war, bekam der erste Astra den Buchstaben F. Den quirligen Kompakten warfen die Ingenieure in den ersten drei Jahren nach 1991 in wirklich vielen Karrosserieformen und Motorvarianten auf den Markt – da war und ist für jeden was dabei.


Der bessere Kadett
Tatsächlich machte der Astra, mal abgesehen vom Namen, vieles besser als sein Vorgänger. ABS war von Anfang an buchbar und ab 1996 Serie. Ab 1994 gab es serienmäßig den Airbag für Fahrer und Beifahrer, das Fahrwerk was opeltypisch ausgereift und straff. Verschiedene optische Aufwertungen zogen Jahr für Jahr nach.

Die Sitze sind fest und bequem und für diese Klasse (und dieses Alter) wirklich gut. Unser goldener GLS hat tatsächlich erst belegbare 127.000 Kilometer auf dem Tacho, und das spürt man. Er ist nicht “durchgeritten” wie viele seiner Rest-Tüv-Kameraden.
Käffchen und Kippchen
Viele Gebrauchtwagen haben gar keine Cupholder und nur winzig kleine Aschenbecher. Deshalb checke ich (als Nichtraucher) in dieser Serie auch immer die Abstellmöglichkeiten für Coladosen und Kaffeetassen sowie die vom Fahrersitz aus erreichbaren Aschekapazitäten.

Bei Opel rauchte man noch. Eine kleine Klappe mit Anzünder in der Mittelkonsole, ein Blech zum Ausdrücken, man riecht den würzigen Tabak förmlich in den Polstern. Kaffee und Cola ist nicht. Ich konnte nirgends einen Cupholder finden.
Ich sitze mit meinen 1,90 m bequem und habe sogar noch Platz nach hinten. Auch da zeigt sich der Golf-Konkurrent platzmäßig von einer guten Seite. Wenn man jetzt noch die typischen 90er-Jahre-Muster des Gestühls als bewusstseinserweiternde Bildstörung abheftet, kann man sich hier richtig wohlfühlen.

Die sprichwörtliche Nähmaschine?
An jedem Autostammtisch zitiert die Szene mindestens einmal die Opel Fahrwerke, mit denen die Fahrzeuge “wie auf Schienen” laufen, und die Motoren, die zuverlässig wie Nähmaschinen arbeiten. Eigentlich baut Opel schon seit 1911 keine Nähmaschinen mehr, und ich persönlich assoziiere das Laufgeräusch einer Nähmaschine eher mit Lagerschäden, abgerissenen Ventilen oder abgewickelten Fadenspulen. Aber jeder wie er meint.

Unser 1.6 Liter Vierzylinder ist mit seinen 75 PS am manuellen Fünfganggetriebe eine gute Wahl. Der kleinere 1.4 Liter passt besser in den Corsa, die größeren Motoren ab dem 1.8 Liter treiben den Rüsselsheimer sogar richtig flott voran! Die Top-Motorisierung gab es im 2.0 GSI 16V mit 150 PS. Beim Diesel griff Opel damals auf Motoren zurück, die weitestgehend von Isuzu gefertigt wurden.
Langlebiges, intuitives Interieur
Ausgerechnet gold! Na ja, oder Metallic Champagner mit dem Farbcode 489. Glaube ich. Auf jeden Fall ist die Farbe eine echte Ansage für die 90er Jahre, und die Sitze runden das Gesamtbild zu einer Zeitkapsel ab, in die sich sicher nicht jeder verliebt. Aber sauber ist er. Und unfassbar gut zu fahren.

Der Motor springt auf Anhieb an und treibt den Viertürer ohne Ruckeln oder Zuckeln über die Landstraße zum Fotoplatz. Die Schalter schmatzen, keine Warnlampen leuchten, nichts klappert. Neben der Frage, ob irgendjemand irgendwann mehr Auto als das braucht (nein), schockiert der Preis. Okay, TÜV ist Ende des Jahres fällig, aber die Radläufe sind schon gemacht worden. Und das für 1.000 €? Sagenhaft.
Raum für Gepäck – und Rost
Radläufe? Wieso Radläufe? Wer sich noch an die Endspitzen der Schweller und die hinteren Radläufe der letzten Opel-Kadett-Generation erinnert, findet diese Bilder bei vielen Opel Astras (zumindest vor 1996) wieder. Handtellergroße braune Placken fallen auf den Asphalt vor dem Baumarkt, über den Hinterrädern sieht es aus wie ein Haifischmaul mit Karies. Schlampig gestanzte Blechkanten blühten munter vor sich hin, vor allem bei Fahrzeugen, die im Winter bewegt wurden oder lange draußen standen.

Es wurde also nicht restlos alles besser gemacht als beim Kadett. Ein gepflegter Astra, der regelmäßig eine Werkstatt gesehen hat (und die Werkstatt ihn ebenfalls), ist aber noch immer zu finden und noch immer nicht teuer. So wie unserer hier. Man muss sich nur noch zwischen Limousine mit drei oder fünf Türen, Stufenheck, Caravan (Kombi) oder Kleinlaster mit zwei Türen ohne hintere Scheiben entscheiden. Oder gleich das Cabriolet nehmen.

Millionenseller mit Kleinstpreisen
Schraubt Ihr manchmal selbst? Herzlichen Glückwunsch! Über DAPARTO könnt Ihr alle gängigen Verschleißteile für den Opel Astra F für einen sehr schmalen Taler kaufen. Schalldämpfer oder Wasserkühler kosten weniger als der Monatsbeitrag in der Muckibude, und selbst komplette Nebenaggregate liegen auf dem Niveau von Waschen und Dauerwelle mit Färben. Preiswerter geht es nicht einmal beim Golf. Und genau wie der ist ein Opel Astra weniger eine Liebesentscheidung als mehr eine Kosten-Nutzen-Analyse. Ihr bekommt ein bequemes, geräumiges Fahrzeug ohne Image oder Lobby, was Euch aber bei weiterer Pflege noch lange treu bleiben wird. Manchmal muss Liebe ja auch erst reifen.
Vorteile | Viele (fünf) Karosserieformen Gutes Platzangebot, ungeschlagen groß im Caravan Umfangreiche Ausstattungen und Farbkombinationen Straffes, gutmütiges Fahrwerk Zuverlässige und relativ sparsame Motoren Für die Zeit gute Sicherheitspakete |
Nachteile | Rostprobleme an Radläufen, Türkanten, Auspuff und Tank Undichte Wasserpumpen Schnell verschleißende Stoßdämpfer und Traggelenke Häufige Zahnriemenprobleme noch vor dem Intervall Reißender Krümmer |
Fahrgefühl | Wenn der erste Astra die 200.000 Kilometer noch nicht gerissen hat und immer gewartet wurde, fährt er sich wie einst in den 90ern. Alle Schalter sitzen intuitiv richtig, die Sitze sind bequem, die Rundumsicht ist klasse. Die Motoren ab dem 1.6 Liter laufen ruhig und sind sparsam, zum zügigen Vorankommen reichen sie alle. Mit dem würde ich auch die weite Reise in den Urlaub wagen! |
Preise | 400 € – 4.500 € |
FAQ
Wenn der Rost nicht gnadenlos zugebissen hat – und bei den ganz “billigen” Kandidaten wird er das haben –, lässt sich ein Opel Astra F in der Stadt wie auf dem Land im Alltag problemlos bewegen. Reparaturen können oft selbst getätigt werden, an die meisten Baugruppen kommt man gut ran. Die relativ sparsamen Motoren geben keinen Anlass zur Sorge, wenn sie regelmäßig gewartet wurden. Und je nach Beruf oder Familienstand findet sich zwischen zwei und vier Türen, Kombilimousine und Stufenheck oder Caravan und Van bestimmt der richtige Astra für jeden Geschmack. Prost.
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Die Ersatzteilpreise sind beim ersten Opel Astra fast genauso sündig niedrig wie beim Golf der mittleren Generationen. Da legt man für einen kompletten Bremsenwechsel rundrum, also Scheiben, Beläge und Sättel, so viel hin wie andere für einen Ölwechsel. Solange das so bleibt und die Teilepreise nicht den Kaufpreis übersteigen, werden auch noch viele Astra F auf dem Markt bleiben, sodass auch Interieur oder Zierleisten immer wieder angeboten werden. Also jetzt einen guten kaufen und den vielleicht in Richtung H‑Kennzeichen retten?
Ersatzteile für den Opel Astra F »
Wie jeder einzelne von Euch “Langeweile” definiert kommt auf den Standpunkt an. Natürlich ist ein Opel Astra F kein “spannendes” Auto wie ein Alfa Spider oder ein Renault Alpine. Das wollte er aber auch nie sein. Er glänzt zeitlebens eher mit Unauffälligkeit, Funktionalität und variablen Nutzungsmöglichkeiten. Findet Ihr es langweilig, wenn etwas kaputtgeht und Ihr es zwei Tage später als Paket im Gegenwert einer Bratwurst mit Kraut auf dem Briefkasten liegen habt? Ödet es Euch an, nach 1.000 Kilometern runter in den Urlaub noch immer keine Warnlampen zu sehen und erst einmal getankt zu haben? Dann findet Ihr einen Astra langweilig. Man könnte das aber auch als “entspannt” bezeichnen. Vielleicht ist das eine Frage des Lebensalters …
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Nach Möglichkeit die Finger vom 1.4 Liter Vierzylinder lassen, der ist ein wenig überfordert. Die häufigsten Motoren sind die 1.6 Liter Benziner mit 71 und 101 PS, auch der 1.8 Liter Vierzylinder mit 115 PS ist gern genommen. Darüber wird es langsam sportlich. Der 1.7 Liter Diesel gilt als zuverlässig und sehr sparsam, der nimmt sich keine 5 Liter auf 100 Kilometern.
Der Opel Astra F ist als DER Rostopel nach dem E‑Kadett verschrien. Nach dem Facelift 1994 war die Rostvorsorge angeblich besser, aber auch hier rosten Falzkanten und die Bereiche unter den Dichtungen und am Unterboden bei einigen Fahrzeugen heftig. Das ist allerdings so auffällig, dass man es gut sehen kann. Dann Finger weg, es gibt den Astra auch mit wenig bis keinem Rost, je nach Pflegezustand. Und teuer sind sie alle nicht wirklich.
Jens Tanz – der Sandmann

Jens spielt seit seinem 16. Lebensjahr mit alten und nicht ganz so alten Autos im Maßstab 1:1. Diese Leidenschaft machte er nach ein paar Irrwegen in die Physik und die Elektrotechnik zum Beruf und schrieb Artikel und Kolumnen für AutoBILD, AutoBILD Klassik, GRIP – Das Motormagazin, Spiegel Online, das Drivestylemagazin TRÄUME WAGEN und die AUTO Classic. Heute betreut der Kieler über die Agentur elbkind reply die Social-Media-Kanäle vom Mercedes-Benz Museum in Stuttgart und führt mit “Sandmanns Welt” das etwas andere Tagebuch eines patchworkenden Autofahrers.
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